Rebound
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Samstag, 11.Mai 2013 – Lubutu – Beni

Schon früh bringen uns Dagobert und Genossen wieder nach Tingi-Tingi, wo uns Ted mit seiner zweimotorigen Propellermaschine abholt. So langsam werden einem die Dimensionen klar. Ungefähr 140.000 Menschen sind durch diese nahezu fehlende Straße, so gut wie von jeder sozialen Infrastruktur ausgeschlossen, ganz zu schweigen von Handelswegen, die für die Ernährung der Bevölkerung überlebenswichtig sind. Die einzigen, die immer wieder den Weg in diese gottverlassene Region finden, sind die Kämpfer sämtlicher Milizen, die dann hier auch ordentlich marodieren. Es heißt sämtliche Frauen in Lubutu seien mindestens einmal vergewaltigt worden, was hier zur „normalen“ Kriegsführung gehört. Abgesehen davon, sind die Wälder neben der Piste voller Landminen und Gebeinen der Opfer aus den vergangenen neunzehn Jahren nach dem Völkermord in Ruanda. Hier schlägt das „Herz der Finsternis“, denn auch hier haben sich die Kagame-Soldaten an den Hutu-Milizen gerächt, ohne großartig darüber nachzudenken, ob es sich um tatsächliche Völkermörder oder nur um ihre Familien handelt. Fakten, die natürlich einer Versöhnung enorm im Wege stehen, allerdings die Weltöffentlichkeit kaum erreichen werden- auch deshalb nicht, weil die wiederum beschäftigt ist, sich schuldig zu fühlen, weil sie ja die Tutsis in Ruanda damals schutzlos dem massakrierenden Hutu-Mob überlassen hat. Gegen Mittag erreichen wir Beni und checken erst mal im „Rock Hotel“ ein. Kurze Kaffeepause und direkt geht es weiter zu Rebound 2. Erst vor kurzem ist man ins Zentrum der Stadt umgezogen, weil die bei ihren Patenfamilien wohnenden Kids dann besser das Schulgelände erreichen können, abgesehen davon, dass ein am Stadtrand liegendes Gelände natürlich eher von Rebellen überfallen wird. Hatte überhaupt nicht mit irgendwelchem Brimborium gerechnet, umso schöner war’s dann. Kaum öffnet sich das Tor, legen unsere Auszubildenden auch schon mit einem Begrüßungslied los. Alle haben sich einheitlich fein gemacht, nur wir sehen nach unserer Nacht im Dschungelcamp relativ mitgenommen aus. Eine Band (vermutlich die von der Eröffnung im September 2011) begleitet die einzelnen Lieder, wovon ein Song gefühlte 15 Strophen besitzt und dessen Refrain sich erstaunlicherweise nicht auf „Desolation Row“ reimt, sondern irgendwie verdächtig nach „God bless Mr. Niedecken“ klingt. Zwischendurch gibt es zwei kleinere Danksagungen einer Ex-Kinderprostituierten und einem Ex-Kindersoldaten, sodass ich wirklich nicht drum herum komme, mich mit einem Lied zu revanchieren. Borge mir also bei der Band eine Gitarre aus und versuche auf diesem unstimmbaren Instrument „Für ’ne Moment“ zu spielen. Irgendwie funktioniert das sogar und zu meiner großen Überraschung erkennt die Band die Strophen-Akkorde unmittelbar und steigt ein. Bei der Bridge und im Refrain wird’s etwas holpriger aber genaugenommen zählt ja sowieso nur der olympische Gedanke. Es folgt der obligatorische Rundgang durch die Klassen, wobei ich mich sehr darüber freue, dass wir inzwischen einen Kurs für angehende Automechaniker anbieten, den sogar Mädchen belegen. Zum Abschluss legen die Teilnehmer sogar sowas wie eine Führerscheinprüfung ab, weil sie im Verlauf des Kurses auch Fahrstunden erhalten. Wir besuchen die Koch- und Back-Klasse, wo man uns stolz von den selbst gebackenen Waffeln kosten lässt und natürlich die zwei Schneiderei-Klassen, wo man mir diverse Stickereien schenkt und ein Kostümchen, dass – so Gott-will – einer meiner Damen passt, damit ich per Internet ein Foto an die hiesige World-Vision-Niederlassung schicken kann, auf dem wahlweise Tina, Isis oder Jojo das Teil trägt. In der Schreinerei läuft alles wie gehabt, und ich frage wie es „Zebra“ geht, der mir beim vorigen Besuch das kleine Bänkchen geschenkt hat, welches Tina für bestimmte Yoga-Übungen hervorragend gebrauchen kann. Man schenkt mir ein zweites und teilt mir mit, dass Zebra mittlerweile selbstständig sei und in seiner eigenen Werkstatt auf mich warte. Susanne Anger und Peter Seidel interviewen noch zwei Jugendliche über ihren Weg zu Rebound und dann fahren wir Zebra besuchen. Großes Hallo, er führt uns seine Schreinerei vor, als Boss von sechs Mitarbeitern und seit neuestem -auch als Vater eines Sohnes. Toll zu sehen, wie stolz der Kerl darauf ist, es geschafft zu haben. Seine Verkaufsschlager sind die Ölmühlen, die er aus zwei aufeinander geschweißten LKW-Felgen anfertigt. Damit pressen die Leute hier ihr Palmöl. Klar, dass ich auch hier nicht ohne Geschenk aus der Tür gehe. Diesmal ist es ein kleiner Barhocker und so langsam muss ich mir Gedanken darüber machen, wie ich all das nach Hause kriege. Spätestens nach diesem Nachmittag weiß ich, dass die Entscheidung, trotz Teilreisewarnung des Auswärtigen Amtes, hierher zu reisen richtig war. Ich spüre, dass sich meine „und-jetzt-erst-recht-Akkus“ wieder aufladen, nachdem ich im Laufe der Zeit schon wiederholt darüber nachgedacht habe, ob unsere Aktivitäten nicht doch im Endeffekt sinnlos sind. Mir fällt die Textzeile aus „Verdamp lang her“ ein: „.. nit resigniert, nur reichlich desillusioniert..“. Manchmal denke ich sogar, dass es den Menschen in den Kivu-Regionen, überhaupt im Ostkongo mit Sicherheit besser gehen würde, wenn diese Gegend von Kigali aus regiert und der Abbau der Bodenschätze von dort aus kontrolliert und zertifiziert würde. Aber da steht natürlich der immer wieder auf’s neue geschürte Hass im Wege, der Ruanda und den Kongo seit Generationen zu Erzfeinden macht. Aber warum soll das nicht irgendwann mal anders werden? Auch die „Deutsch-Französische Freundschaft“ hat vor Adenauer und De Gaulle kaum einer für möglich gehalten. Jede noch so große Reise beginnt schließlich mit einem einzigen Schritt. Auch für unseren deutschen Botschafter im Kongo, Wolfgang Manig, wäre dieser erste Schritt die Abrüstung in den jeweiligen Medien, weshalb er sich bemühen will, endlich mal die entsprechenden Leute an einen Tisch zu bekommen. Zunächst steht allerdingsein erneuter bewaffneter Konflikt ins Haus, denn die Milizen strengen sich momentan an, die irrwitzigsten Koalitionen einzugehen, frei nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Auf diese Weise wollen sie der für Anfang/Mitte Juni erwarteten Offensive der MONUC strategisch entgegentreten. Und so drehen sich die Gedanken im Kreis: Gäbe es die endemische Korruption nicht, bekämen die Regierungstruppen ordnungsgemäß ihren Sold. Der würde dann eben nicht zwischen Kinshasa und dem Ostkongo irgendwo „verdunsten“, und diese Kerle würden sich nicht genötigt sehen, für ihren Lebensunterhalt plündern zu gehen. Es ist eine bittere Wahrheit, dass an vielen Orten die Angst vor den Regierungstruppen größer ist, als die vor der M23, denn die erhalten regelmäßig ihren Sold. Jeder weiß, dass die M23 von Ruanda aus unterstützt wird, das ist ein offenes Geheimnis. Der offizielle Teil dieses Tages endet mit dem Besuch bei einer Patenfamilie, die eins unserer Mädels bei sich aufgenommen hat. Die Mutter, die selbst ein halbes Dutzend eigener Kinder groß zu ziehen hat, antwortet auf meine Frage, ob für ihre Entscheidung, ein fremdes Kind in ihre Familie aufzunehmen, religiöse Gründe den Ausschlag gegeben hätten mit einem entwaffnenden „Nein“. Es sei für sie nur eine Selbstverständlichkeit. Punkt. Keine weiteren Fragen. Ich denke, von dieser Frau könnte sich so manch einer eine Scheibe abschneiden. Ich schenke ihr einen rot-weißen Plastik-Rosenstrauß, den man mir bei meiner Ankunft im Rebound-Center überreicht hat. Kaum zu glauben, wie sehr sich die Frau über diese Geste freut. Schade, dass ich nur einen Tag in Beni mit dem Rebound –Thema befasst sein kann, aber die Zeit drängt, jedenfalls bin ich für’s Erste mal wieder auf dem neuesten Stand. Nicht besprochen wurde, ob die Chance besteht, weitere Rebound-Center im Ostkongo einzurichten, aber die Frage kann man erst mal auch von zuhause aus stellen.

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