Rebound
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Sonntag, 02. März 2014 bis Sonntag, 09. März 2014 – Alf/Haus Waldfrieden

Am Karnevalssonntagmittag rollen Fisch und ich bei Ulli und Peter Stein auf dem Betriebshof ihres Weinguts ein. Die Crew ist mit dem Aufbau beschäftigt und nach und nach trudeln auch meine Mitmusikanten ein. Anne und Ulle aus Hamburg haben einen kompletten Kleintransporter mit den verschiedensten Instrumenten vollgepackt und auch Werners Case für seinen extra für diese Tour angeschafften Kontrabass verblüfft jedenfalls, was seine Ausmaße betrifft. Da könnte man den Bassisten selbst auch noch locker mit reinpacken. Aber egal, Hauptsache das Instrument (die „Oma“) gelangt sicher von Halle zu Halle. Nutze das schöne Frühlingswetter, solange noch aufgebaut wird, für einen kleinen Spaziergang und als ich oben am Soldatenfriedhof ankomme, schlägt die Realsatire gnadenlos zu, denn vom gegenüberliegenden Weinörtchen Pünderich schallt in ziemlicher Lautstärke der Brings-Erfolgshit „Superjeile Zick“ über die Mosel. Klar, es ist Karnevalssonntag und da interessiert es keinen großartig, dass ich inmitten von Kriegsgräbern stehe und der Hookline „..nä, wat wohr dat fröher en superjeile Zick“ nicht unbedingt zustimmen kann. Natürlich steige ich ein weiteres Mal auch auf den Aussichtsturm und freue mich, dass uns eine volle Woche in dieser herrlichen Umgebung zur Verfügung steht, um uns ausschließlich mit der Ausarbeitung unserer Arrangement-Ideen zu befassen. Aber zunächst mal Soundcheck, dann aber auch schon die ersten vier Songs unseres „Sichtungs-Durchlaufs“, bis wir nach einem Absacker/Schlummertrunk ermattet in die Federn sinken.

Am nächsten Morgen ist Robin bereits eingelaufen, um erste Proben-Impressionen einzufangen. Abends fährt er wieder nach Köln, weil er mitten im Examen steckt. Erst in Berlin wird er wieder auftauchen. Abends sind wir bei Song 17 (Jupp) angelangt und haben festgestellt, dass es gar nicht so einfach ist, außer Rhanis Percussions Instrumenten auch noch Jürgens Schlagzeug sinnvoll einzusetzen, denn erstens hat keiner Bock auf Arbeits-Beschaffungs-Maßnahmen und zweitens soll ja möglichst alles „schön höösch“ stattfinden. Sowas erfordert Disziplin und Konzentration, denn die Arrangements sind ziemlich ausgefeilt. Wir sind alle sehr gespannt, wie wir unseren Jürgen gezähmt kriegen, ohne ihn gleich zu kastrieren.

Am Dienstag beenden wir unseren Sichtungs-Durchlauf. Fast aus der Hüfte haben wir obendrein noch eine komplett neue, generalüberholte Version von „Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg“ entwickelt. Die Idee, mir dieses kleine unbeholfene Lied über Gastfreundschaft von unserem allerersten Album nochmal vorzunehmen, welches mir zugegebenermaßen immer auch ein wenig peinlich war, ist mir gekommen, als ich überlegte, was wir denn wohl am Pfingstmontag spielen könnten, wenn sich der Nagelbomben-Anschlag in der Keupstraße zum 10. Mal jährt und anlässlich dieses Jahrestags auf der Industrie-Brache, auf die die Mülheimer Keupstraße mündet, eine Großveranstaltung gegen Rechts stattfindet. Gar nicht so einfach, dieses gut gemeinte Liedchen so umzuformulieren, dass es meinen heutigen Maßstäben entspricht. Nach zwei Tagen Ausmisterei und Umstellerei bin ich zufrieden und heute, nachdem der Song noch liebevoll von der gesamten Band neu arrangiert wurde, bin ich mir sicher, dass er so schnell nicht mehr von der Setliste verschwinden wird.

Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg (Febr. 2014)

1)
Hä kohm uss Ankara
un hätt jedaach, he wöör et wunderbar,
hätt jedräump vun uns`rem Wohlstand,
vum Glöck un vun`nem volle Kühlschrank.

Vun Istanbul bess Köln-Hauptbahnhoff
me`m Zoch, wobei ihm ziemlich klar woot,
wie wigg et ess, vun he bess dohin,
wo Frau un Pänz jetz noch doheim sinn.

Su stundt`e do, me`m Pappkartöngche
un hätt jedaach, sing Zigg jetz köhm se,
et däät schon ir`ndwie funktioniere.
Doch eez ens woor e`bloß ahm friere.

Refr.: Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg,
Dreck-Arbeid om Bau, em Bergwerk.
Merke, dat mer nit erwünsch ess,
met`nem Schnäuzer keine Minsch ess.
Vill erdulde, vill erdraare
un dobei op Wunder waade.

2)
Drei Johr Etagebett,
sibbe Mann enn ein klein Buud jequetsch,
de Strooß jefääsch, Akkord ahm Fließband.
Wat für`e Levve! Wat`ne Zostand!

Dat Jeld woot brav nohuss jescheck,
enn die Türkei ahm Monatsengk.
Einsame Näächte, Heimweh, Sehnsucht
un off jenooch sich selvs verflucht.

Em vierte Johr wohr`t dann suwigg:
se kohme noh, höchste Zigg.
En winzje Bruchbuud, Klo om Flur,
vierhunderfuffzisch D-Mark nur.

Refr.: Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg,
Dreck-Arbeid om Bau, em Bergwerk.
Merke, dat mer nit erwünsch ess,
met`nem Schnäuzer keine Minsch ess.
Vill erdulde, vill erdraare
un dobei op Wunder waade.

3)
Mer wooren do, enn Tekirdag
Enn Denizili, enn Patara.
Et joov Kamelle, Cay un Sesam,
om Zuckerfest, ahm Seker-Bayram.

Mer hann jespillt für Jrooß un Klein.
Mer hann jeschwaad met Arm un Bein.
Mer hann jedanz, jerauch, jesoffe,
wildfremde Lück doheim jetroffe.

Spätnaahx, om Heimwääsch dann,
hann wir uns irjendwie jeschammp,
denn dat, wat uns he widderfahre,
do mösse die noch lang dropp waade.

Refr.: Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg,
Dreck-Arbeid om Bau, em Bergwerk.
Merke, dat mer nit erwünsch ess,
met`nem Schnäuzer keine Minsch ess.
Vill erdulde, vill erdraare
un dobei op Wunder waade.

Mittwoch-Morgen fangen wir wieder von vorne an, um unsere Ideen zu perfektionieren. Abends genehmigen wir uns das Länderspiel gegen Chile.

Donnerstag noch ein wenig Pressearbeit, ansonsten weitere Ausarbeitungen und Umstellungen auf der Setliste , weil bestimmte Songs nicht hintereinander funktionieren.

Freitagnachmittag schießt Tina vor dem wunderbaren Mosel-Panorama ein neues Bandfoto, denn das Peter Boettcher-Foto vom 8. Juli des vergangenen Jahres macht ja, weil Helmut auf dieser Tour nicht dabei ist, nicht mehr wirklich Sinn. Abends verzichte ich schweren Herzens darauf mir das Heimspiel gegen Cottbus wenigstens im Fernsehen anzuschauen, denn wir brauchen dringend noch Routine-Durchläufe. Für die Überraschung des Tages sorgte Julian Dawson, der auf dem Weg zwischen zwei Gigs in Trier und Essen einen kleinen Umweg gefahren ist um uns zu besuchen. Große Freude.

Am Samstag nach dem Frühstück nochmal einen kompletten Durchlauf und danach das Erstellen der endgültigen Setliste für das kleine interne Warm Up-Konzert am Abend. Den Nachmittag nutzen wir zum Entspannen. Inzwischen sind auch Rhanis und Werners Familien eingetroffen, sodass der von allen geschätzte Ferien-Camp-Lifestyle noch eine Steigerung erfährt. Beim Gig selbst lassen wir die meisten Tretminen unberührt, es läuft besser als erhofft. Dennoch kann man nicht behaupten, dass wir in punkto Perfektion und Entspannung schon am Ziel sind. Wo ich überhaupt noch nicht drüber nachgedacht habe, ist die Tatsache, dass sich all diese akustischen Instrumente bei Temperaturschwankungen auch gerne mal verstimmen. Sowas muss man unbedingt mit in die Planung einbeziehen, sonst geraten wir nämlich in Teufels Küche. Für ein besonderes Highlight sorgt mein Freund Dieter Bachmann, der mit seiner Frau Elvira aus Köln angereist ist: er schenkt mir ein Foto der Rolling Stones, welches die Kollegen handsigniert haben. Vor ein paar Jahren kam er mit einem gespielten Satz Saiten von Keith Richards Gitarre an, die wir dann im Altar platziert haben und seitdem vor den Konzerten bei jeder Huldigung berühren, damit der Spirit der heiligen drei Könige zu uns rüber wandert. Dieter kenne ich aus dem Künstlerbedarfsladen Wolkenaer seit Anfang der Siebziger Jahre. Bei ihm habe nicht nur ich meine Farben und Leinwände gekauft, sondern unter anderem auch Sigmar Polke und Michael Buthe. Beide inzwischen verstorben. „Stemmp schon, die Ennschlääsch kumme nöher…“.
Außer mir reisen am Sonntag alle schon nach Ludwigshafen. Ich fahre den kleinen Umweg über Köln, weil ich noch einiges zu organisieren habe. Unterwegs mache ich mir Gedanken über winzige Änderungen an der Setliste.

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