Rebound
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Mittwoch, 13. April 2011 – Verden a. d. Aller, Schalterhalle Stadtsparkasse

Durch eine spezielle norddeutsche Variante von „Simple Twist of Fate“ geraten wir heute nach Verden. Nach dem „Don’t Come Knocking“-Eindruck im „Nowhere Land“ von Oldenburg zugegebenermaßen eine Wohltat. Was wir ursprünglich für die Aufnahme-Location einer Radio-Bremen-Sendung hielten, entpuppte sich, nachdem das Routing der Lesereise bereits in Stein gemeißelt war, als Spielstätte einer durchaus renommierten Serie von Kulturveranstaltungen, die die örtliche Sparkasse seit geraumer Zeit in ihrer Stadthallen-großen Schalterhalle ausrichtet. Warum eigentlich nicht. Erstaunlich, wie schnell es möglich ist, die komplette Halle von allem zu befreien, was auch nur entfernt an eine Bank erinnert, und durch Stuhlreihen und Bühne in eine ganz normale Veranstaltungshalle zu verwandeln.
Da man hier an Veranstaltungen von eineinhalb Stunden gewöhnt ist (vermutlich, damit ab 21 Uhr der Rückbau für den kommenden Arbeitstag stattfinden kann), beginnt die Lesung bereits um 19:30 Uhr. Olivers Einführung entfällt also aus Zeitgründen, stattdessen begrüßt die Filialleiterin das Publikum. Leicht irritierend ist die Helligkeit im Auditorium, verursacht durch die transparente Architektur des Gebäudes, vor allem natürlich durch das Glasdach. Sehe also bis zur letzten Reihe alles und jeden und komme sehr schnell zu dem Schluss, dass sich die Zahl der Native-Kölsch-Sprecher hier in Grenzen hält, überhaupt ein riesiger Prozentsatz der Anwesenden außer „Verdamp lang her“ nichts von mir bzw. BAP kennt. Schalte also kurzentschlossen auf Hörbuch-Modus um, damit ich mit optimal verständlichen Autobiographie-Passagen die rätselhaften Songtexte ausgleichen kann. Bin mir zunächst nicht ganz sicher, ob mir das gelingt, stelle aber dann fest, dass sparsamere Publikumsreaktionen ausschließlich auf die kühlere norddeutsche Mentalität zurückzuführen sind und nicht auf Unverständnis.
Das vermeintliche Eis bricht dann komischerweise in einer Phase von Pleiten, Pech und Pannen, die ich eigentlich nicht unbedingt brauche. Während „Chippendale Desch“ reißt mir eine Saite, aber ich spiele den Song, da ich mich in der letzten Strophe befinde, auf fünf Saiten (verstimmt) zu Ende. Die bis zum nächsten Song von Didi eilig aufgezogene Ersatzsaite ist dann allerdings nicht mal halbwegs auf den vorgesehenen Ton gestimmt, sodass ich Rory-mäßig hantieren muss, um überhaupt weiterspielen zu können. Mitten in „Verjess Babylon“ ist dann alles erneut aus den Fugen geraten, und ich muss (erstmals in 35 Jahren“!!) mitten im Lied unterbrechen, um zu stimmen. Gut, dass mich sowas nicht aus der Kurve wirft. Erkläre mein Tun und wiederhole kurz, was sich bis zum Abbruch getan hat, um danach den Rest des Stücks zu spielen. Eigentlich wunderbar, dass ein einfühlsames Publikum ausgerechnet solche Vorkommnisse auch als etwas Besonderes einschätzt.
Was ich persönlich vom Verdener Abend nicht vergessen werde, ist, dass unsere Freundin, die Hebamme Doro, mit deren Hilfe Tina Isis und Jojo zur Welt gebracht hat, in der ersten Reihe sitzt. Sie war vor zwölf Jahren aus Köln hierher gezogen, und irgendwann hatten wir den Kontakt verloren. Sie war insofern Zeuge der im Buch erzählten Geschichte von Isis‘ spontaner Namensfindung. Darf beim Lesen der Passage mit den zwei fünfzehnjährigen Mädchen im „Reception Center“ auf keinen Fall zu ihr hinschauen, sonst müsste ich abbrechen. Es gelingt mir halbwegs, durch die Stromschnellen zu kommen und im Verlauf der erneut anderthalbstündigen Signierstunde bin ich dann überwältigt von dem Interesse der Leute am Thema Kindersoldaten / „Rebound“. Jeder zweite steckt einen zusammengerollten Schein in die poplige Sammeldose. Wenigstens die sollten wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln schon mal vorläufig auf „Rebound“ umgestalten. Vielleicht schaffen wir es ja sogar, unterwegs noch einen provisorischen Flyer mit den wichtigsten aktuellen Informationen zu erstellen.
Resümee: Ein unerwartet toller Abend, durch erfreulichen Einsatz der Veranstalter ermöglicht, denen ich bei der Verabschiedung lediglich für zukünftige Darbietungen den Tipp gebe, sich einmal ein paar Gedanken zur Lösung der Lichtsituations-Problematik zu machen.

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