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Greatest Hits Tour – Das Tagebuch

7. – 10.Januar `06, Samstag bis Dienstag, Haslach, Stadthalle (Tourproben)

Nach einem ebenso geruhsamen wie verschneiten Jahreswechsel auf der Riederalp im Wallis treffe ich Band und Crew im Laufe des Samstags in der Stadthalle des verschlafenen Schwarzwaldstädtchens Haslach, wo wir uns die darauf folgenden drei Tage auf das erste Warm up-Konzert vorbereiten wollen. In dieser Halle hatten wir zuletzt vor über zwanzig Jahren im Verlauf der „Salzjebäck un Bier“-Tour gespielt. Damals hatte man 2.500 Zuschauer reingelassen, es muss erdrückend eng gewesen sein, mal ganz abgesehen von der Belastung des unterkellerten Saalbodens, der absolute Wahnsinn.

Wie es aussieht, steht Haslach ob unserer Anwesenheit Kopf. Die Zeitungen sind voll mit BAP, Polizisten outen sich als Fans der ersten Stunde, man beschenkt uns mit Schwarzwälder Kirschtorten und Kirschschnaps, und die örtliche Buchhandlung hat ein ganzes Schaufenster zum Thema dekoriert. Wir wohnen im Hotel „Zur Blume“, hier wie auch in der Halle werden wir fürstlich umsorgt. Eine optimale Einstimmung auf die kommenden Tage.

Wenn ich mir überlege, dass wir die Kölnarena beim letzten Mal erst am Schluss der Tour gespielt haben, als das Programm wirklich 1000-prozentig in Fleisch und Blut übergegangen war und mir vergegenwärtige, wie nervös wir trotzdem vor der ersten Show waren, wird mir doch leicht mulmig. Aber was soll’s? Die Proben verlaufen reibungslos, die Setliste wird noch leicht umgestellt, weil wir beim Spielen bemerken, dass einzelne Stücke doch nicht an der richtigen Stelle sitzen. Anne de Wolff, die Geigerin, mit der ich in Berlin und Dresden mein Dylan-Programm gespielt hatte, wird mindestens die nächsten fünf Shows dabei sein, auch diesbezüglich große Freude. Bin mir sicher, dass unsere Fans sie lieben werden.

Christian Wagner, der „Rockpalast“-Regisseur ist ebenfalls seit Montag anwesend, um sich sachdienliche Notizen zu machen, schließlich wird er die beiden Köln-Konzerte für den WDR filmen. Die letzte Übung des Dienstags ist dann die Fertigstellung der akkustischen Collage, die die Show eröffnen soll. Micha hatte sie zuhause schon weitgehend vorbereitet, es fehlte nur noch der Feinschliff, was dann aber mit Achims Hilfe kein großer Akt mehr ist. Bin mal sehr gespannt, wie dieses Intro live funktioniert. Gegebenenfalls müssen wir halt noch mal dran rumschnippeln. Überhaupt steigt die Spannung, aber das kennt man ja. Nach den Warm-ups wissen wir mehr .

11.Januar `06, Mittwoch, Haslach, Stadthalle

Da die Proben die vergangenen zwei Tage so reibungslos verlaufen sind, gestatten wir es uns heute, erst nach dem Aufbau der P.A. im Rahmen eines ausgedehnten Soundchecks an einigen Details rumzufeilen. Vor allem die schnellen Übergänge werden noch mal durchexerziert, damit sie auch wirklich pointiert funktionieren. Zwischen Soundcheck und Show herrscht eine ungewöhnlich entspannte Atmosphäre, als wären wir schon seit Wochen unterwegs. Auch unsere Einlassmusik, eine speziell zusammengestellte CD mit lauter Originalversionen von Songs, die wir im Laufe der Jahre mal gecovert haben, von „Wild Thing“ bis zum „Lied vom donnernden Leben“, kommt gut an. Eine ganz spezielle Form von Vorprogramm!

Während der Huldigung werden wir noch von einem SWR-TV-Team gefilmt, sodass wir fast unseren Einsatz nach Werner Reinkes Anmoderation zu „Wahnsinn“ am Ende unserer Intro-Collage verpassen. Werden diese Stelle morgen mal in diversen Varianten bei Originallicht durchtesten müssen, denn richtig zufrieden sind wir noch nicht damit. Dafür klappt aber weitaus mehr vom Set, als ich zu hoffen gewagt hatte. Anne wird vom ersten Moment an geliebt, hätte mich auch sehr gewundert, wenn das anders gewesen wäre. Das „Hurricane / Stell dir vüür“-Medley ist der erhoffte Hammer und sogar das ultrafragile „Paar Daach fröher“, bei dem Anne Meret Beckers Gesangspart übernimmt, funktioniert prächtig.

Noch zwei, drei kleinere Umstellungen und wir haben für’s Erste Planungssicherheit, obwohl für die zwei KölnArena-Shows mit den ganzen Gästen ja noch mal leicht modifizierte Listen zu erarbeiten sind. Bin jedenfalls hochzufrieden mit dieser ersten Test-Show, und ab morgen werde ich dann auch wieder etwas gesprächiger zwischen den Songs sein. Heute war ich gedanklich zu beschäftigt dafür. Abgesehen davon werde ich es mir wohl endgültig abschminken können, bei „Aff un zo“ und „Maat et joot“ Gitarre zu spielen. Bei diesen zwei Stücken muss einfach gekaspert werden, sonst fehlt was.

12.Januar `06, Donnerstag, Gersthofen, Stadthalle

Durch den verschneiten Schwarzwald nach Bayern. Gersthofen ist sozusagen das Deutz von Augsburg und bietet tatsächlich eine Steckdose, an der wir noch nicht gespielt haben. Geruhsamer Nachmittag, erst zwischen Soundcheck und Show wird es lebhafter. Interviews und bis kurz vor Acht noch ein paar Telefonate, sodass ich völlig unkonzentriert auf die Bühne gehe.

Irgendwie funktioniert unser Intro immer noch nicht optimal und während ich darüber nachdenke, woran das liegt, bin ich auch schon komplett raus. Fange mich zu „Waschsalon“ wieder und dann der Gau: Jürgens Klick ist viel zu schnell für „Ahl Männer“ programmiert, sodass wir diese zurückgelehnte Nummer in einem Höllentempo anfangen, erschrocken auf die Bremse steigen und zähneknirschend unisono langsamer werdend nach Hause schaukeln. Nach diesem Schock bin ich dann endgültig wach, und der Rest des Abends verläuft wie erhofft.

Die optimale Kurve für die Setliste ist gefunden, wir sind bereit für die Kölnarena. Morgen früh geht es für mich allerdings erst mal nach München. Von da per Flieger nach Köln, wo ich nachmittags in einer Talkrunde mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten von NRW, Wolfgang Clement, und dem ehemaligen WDR-Intendanten von Sell beim Festakt anlässlich des 50sten Jubiläums des WDR ein paar Schwänke zu diesem Thema beisteuern soll. Tue ich gern, denn dem WDR verdanken wir viel, wenn ich allein an all die Rockpaläste denke. Und ein Statement zur Erhaltung der von Sparplänen bedrohten Big Band kann auch nicht schaden.

Samstag, 14.1. 06, Köln – Kölnarena

Bevor ich zur Kölnarena fahre, erst mal zur Autogrammstunde im Jack Wolfskin-Store in der Breite Strasse. Die Idee, die dahinter steckte war, den extra für die Heimspiele angereisten Fans etwas zu bieten, was auf der laufenden Tour kaum praktizierbar ist, weil die Band da meisten erst im Laufe des nachmittags in der Stadt eintrifft. Meine Befürchtung, auf wenig Resonanz damit zu stoßen, weil wir ja schließlich erst kurz vor Weihnachten in der hiesigen Saturn-Filiale über zwei Stunden signiert haben, erweist sich als unbegründet. Auch heute werden es wieder zwei Stunden plus. Bin hochgradig erstaunt darüber, von wo in Europa die Leute für dieses Heimspiel-Wochenende angereist sind. Es sind Fans aus Norwegen, Dänemark, den Benelux-Ländern, Österreich, der Schweiz, natürlich aus den neuen Bundesländern und sogar aus London und Liverpool (!) in der Stadt. Phantastischer Nebeneffekt dieser Autogrammstunde: Die freundschaftliche Atmosphäre nimmt mir locker 50% meines Lampenfiebers.

Danach direkt in die Kölnarena, Soundcheck und nahtloser Übergang zu den Kurzproben mit den Gastsängern, als da wären: Marta Jandova, Henning Wehland und Thomas D. Richtig viel Zeit haben wir nicht, aber da alle gut vorbereitet sind, entsteht keinerlei Hektik. Einlass, und in Rekordzeit zündet die Idee mit der Vormusik. Bis zum Showstart, der sich um eine Viertelstunde verzögert, weil es draußen Verkehrsprobleme gibt, steigt die Stimmung schon fast bis zum Siedepunkt. „Wild Thing“ und „Hang on Sloopy“ werden dermaßen laut mitgesungen und beklatscht, dass man denken könnte, wir wären schon auf der Bühne.

Dann Vorspannmusik aus, eine zweiminütige Atempause, Saallicht aus und los geht’s mit unserer Collage. Weil heute ja rechts und links von der Bühne Projektionswände angebracht sind, haben wir die Möglichkeit, das siebziger Jahre–Radio, aus dem die Songschnipsel angeblich kommen, in abgefilmter Form auf diese zu übertragen. Das Publikum ist also wie geplant auf unsere dreistündige Zeitreise eingestimmt, als Jürgen leicht überhastet „Wahnsinn“ einzählt, ehe der Rest der Kapelle auf der Bühne steht. Anscheinend merkt das keiner, denn spätestens ab hier gibt es kein Halten mehr. Ein Traum von einer Show, sämtliche Gäste werden frenetisch abgefeiert, es klappt einfach alles, was wir uns ausgedacht hatten.
Auch die Band ist in einer Höchstform, als wären wir schon seit Wochen mit dem Programm auf Tour. Stelle danach fest, dass ich ab dem ersten Akkord so entspannt war wie selten, dermaßen warm kam die Brandung des Wohlwollens bei uns auf der Bühne an. Die Leute gaben uns das Gefühl, sie seien notfalls auch mit „Big Hits auf dem Kamm geblasen“ in Extase zu versetzen. Umso erfreulicher, dass wir da nicht darauf zurückkommen mussten.

Nach der letzten Zugabe, diesmal einem vierstrophigen „Hungry Heart“, ist dann tatsächlich Schluss und eine ausführliche, aber dezente Aftershow-Party im Garderobentrakt der Kölnarena kann ihren Lauf nehmen. Gott und die Welt ist da, von Rosi und Ewald Lienen bis hin zu Gerd Köster, Eusebius Wirdeier und diversen Mitgliedern meiner geliebten WDR-Big Band. Nur unsere Freunde vom FC waren – entschuldigt – nicht am Start. Dafür hat allerdings ein 12.000-köpfiger Chor die eine oder andere Stelle mit FC-Bezug so laut mitgesungen, dass man ihn noch deutlich im Trainingslager an der portugiesischen Algarve gehört haben muss. Bettruhe erst nach 3:00 Uhr morgens.

Sonntag, 15. Jan. 06, Köln-Kölnarena

Von wegen Bettruhe. So entspannt ich das Konzert über auf der Bühne gestanden habe, so ausführlich hat mein Unterbewusstsein im Verlauf meiner Schlafversuche den Stress der vergangenen Tage abgebaut. kann mich nicht daran erinnern, in den letzten Jahren einmal dermaßen unruhig geschlafen zu haben. Spiele die komplette Show noch einmal und zwar als Kreuzung zwischen Bassdrum und Sänger. Erst nach diversen durchgeschwitzten T-Shirts gelingt es mir im Laufe des Sonntag Vormittags bei einem Entspannungsbad runter zu kommen.

„Das kann ja heiter werden“ denke ich, denn ab 13:30 Uhr bin ich wieder verplant. Erstmal ein anderthalb-stündiges Interview mit Joachim Hentschel vom Rolling Stone, danach Soundcheck und vor allem Probe mit Culcha Candela, auf die ich mich sehr freue! Anne wird zusammen mit der gestern im vorbeigehen eingeladenen Renate Otta den Damenchor-Part übernehmen, Marta kann aus Termingründen heute leider nicht mehr dabei sein. Ansonsten bleibt es beim gestrigen Set. Naturgemäß ist das Publikum des zweiten Tages ruhiger, vernünftiger als die „Unheilbaren“, die direkt losstürmen, wenn die Tickets in den Handel kommen.

Aber auch heute wieder Gänsehaut pur, von mir aus könnte das jetzt immer so weiter gehen. Es ist einfach phantastisch mit wie viel Leidenschaft und Liebe alle bei der Sache sind, von der Crew über die Band und die Gäste bis hin zum Publikum. Unfassbar der Trubel auf der Bühne, als „Culcha Candela“ ihre Version von „Time is cash“ zum Besten geben. Unvereinbar geglaubte Musikwelten verschmelzen komplikationslos ineinander, als hätte da nie ein Fragezeichen hinter gestanden. Während des Piano-Solos von „Jraaduss“ fällt mir – spät aber nicht zu spät – ein, dass ich überhaupt noch nicht dazu gekommen bin, den Leuten zu erklären, wozu all diese Kameras in der Halle gut sind. Habe das noch verbunden mit einem Dankeschön an Christian Wagner, der all die Rockpaläste seit 1981 Regie geführt hat und sich in den kommenden Tagen wohl mit einer Art Luxusproblem rumschlagen wird: Aus fast sieben Stunden gilt es anderthalb auszuwählen, die dann am 11.3. (22.30 Uhr, WDR) über den Sender gehen sollen.

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