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Donnerstag, 1.November 2012 – Ludwigsburg, Scala on Tour (Freie Waldorfschule)

Gestern schon in Ludwigsburg angereist. Oliver und ich nutzen den freien Nachmittag, um uns in der Stuttgarter Staatsgalerie die Ausstellung „Mythos Atelier“ anzuschauen. Eine ziemliche Spannweite liegt zwischen den exemplarisch vorgestellten Künstlern, wobei man sich ernsthaft fragen muss, was ein alberner Stümper wie Jonathan Meese in einer Ausstellung zu suchen hat, in der Matisse, Magritte, Mondrian und de Stael vertreten sind. Ich kann diese talentfreien Lautspecher-Provokateure einfach nicht ab. Ein Paradebeispiel für „des Kaisers neue Kleider“. Bin mal mit Oliver durch eine Meese-Schau im Museum Rolandseck umhergeirrt mit der selbstgestellten Aufgabe, wenigstens eine einzige gute Arbeit zu finden. Das Ergebnis: negativ. Interessant übrigens, in welchem Maße die zwei kleinen Spitzweg-Originale handwerklich überzeugen. Unter ihnen erfreulicherweise auch der „Arme Poet“, den ich mal 1977 im Rahmen der „Wunschbilder“ zu kopieren hatte. Wohlgemerkt: Ich hatte damals eine Postkarte zur Verfügung, Spitzweg musste sich das Contre-Jour-Licht anhand von Studien aneignen, um die Szenerie darzustellen. Klar gilt Spitzweg als uncool, weil er derart massenkompatibel ist, aber seine Fähigkeiten darf man gleichwohl bewundern. Ebenso wie man sich fragen darf, ob Picasso nicht vor lauter unhinterfragtem Geniekult überschätzt wird. Schade, dass bis auf Lichtenstein und ein paar Warhol-Fotos die gesamte amerikanische Pop Art unterrepräsentiert bleibt. Da hätte man wirklich mal ein 60er-Jahre New Yorker Loft rekonstruieren können, auch um zu zeigen, wieso die Bilder plötzlich dermaßen groß wurden. Auch von Michael Buthe hätte es bestimmt ausreichend Material und Fotos gegeben, um zu belegen, wie er mit und in seiner Kunst gelebt hat. Trotzdem eine empfehlenswerte Ausstellung, die noch bis zum 10. Februar 2013 läuft.
Bevor wir wieder nach Ludwigsburg zurückfahren, kaufe ich mir noch in der Kunstbuchhandlung Walther König das vor Kurzem bei Hanser erschienene Buch zum inzwischen in Istanbul tatsächlich eingerichteten „Museum der Unschuld“. Orhan Pamuk hat sich mit diesem Museum wohl einen großen Traum erfüllt, und das Buch „Die Unschuld der Dinge“ wird mit ziemlicher Sicherheit dazu führen, dass ich bei Gelegenheit nach vielen Jahren noch mal Istanbul besuche, aber vorher auf jeden Fall noch mal Pamuks Roman und das gestern erworbene Buch studieren werde. Heute, während der Lesung, ist es mir von daher ein besonderes Vergnügen, die Passage mit Aristoteles’ Zeitbegriff vorzutragen, von dem ich ja erst durch Pamuks Roman erfahren hatte. Überhaupt wäre die heutige Lesung definitiv die für die Ewigkeit gewesen. Die hätten wir mitschneiden müssen, denn so furchtbar viele werden es ja nun nicht mehr werden, jedenfalls nicht, was dieses Buch betrifft. Den heutigen Tag verbringen Oliver und ich bis zum Soundcheck in zwei Cafés mit weiteren Gesprächs-Sessions für das kommende Buch. Wir können zeitweise sogar im Freien sitzen, denn die Sonn schingk schön.

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