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Abuja, Lagos, Kano / Nigeria

Freitag, 7. bis Mittwoch 12. November 08

In der nigerianischen Hauptstadt Abuja findet von Freitag bis Sonntag die vierte, von unserem Bundespräsidenten initiierte Konferenz „Partnership with Africa“ statt. Zu dieser und seinem anschließenden Staatsbesuch hat er mich erneut eingeladen..

Abflug für Didi und mich am Freitagmorgen in aller Herrgottsfrühe vom militärischen Teil des Köln Bonner Flughafens, weil wir ja einiges an Instrumenten und Equipment mitzunehmen haben. In Berlin steigt dann die übrige Entourage incl. Bundespräsident und Gattin zu.

Große Freude, dass unter den Journalisten diesmal auch Gerd Scobel von 3sat dabei ist. Er plant für den 27.11. eine Sendung über die Reise (27.11. um 21 Uhr). Einige Kollegen, wie der ehemalige Zeit-Korrespondent Bartholomäus Grill, dessen Buch „Ach Afrika“ ich gar nicht oft genug empfehlen kann, sind gestern schon per Linienflug vorgereist. Wir treffen sie bereits um 17 Uhr im Konferenzraum des Sheraton-Hotels dieser Retorten-Hauptstadt Abuja.

Ähnlich wie bereits innerhalb unserer Delegation geht man auf der Konferenz diesmal erfreulich früh von den üblichen Beteuerungs-, Dankbarkeits- und Begrüßungsmantras zum Klartext über. Ein Zeichen dafür, dass seit der ersten Konferenz vor 4 Jahren das gegenseitige Vertrauen gewachsen ist.

Leider ist der ruandische Präsident Kagame, wie schon erwartet, nicht angereist, denn ausgerechnet in diesen Tagen finden in Nairobi ja Verhandlungen zur Beilegung der Kämpfe im Ostkongo statt, wo er natürlich unabkömmlich ist. Hätte es sehr interessant gefunden, gerade seinen Beitrag zum Thema „Hürden auf dem Weg zur Partnerschaft und wie wir sie nehmen können“ zu hören und gegebenenfalls einige Fragen zum Ostkongo-Konflikt zu stellen: Koltanabbau, Tutsimilizen, die Vermarktung der ostkongolesischen Bodenschätze via Kigali. Es wäre nicht schlecht gewesen, darüber etwas aus kompetentem Munde zu erfahren.

Ziemlich peinlich dann der Grund, aus dem die liberianische Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf nicht erscheint: Das nigerianische Flugzeug, welches sie in Monrovia abholen soll, schafft es zwar bis dorthin, gibt aber nach der Landung seinen Geist auf. Sehr schade, großartige Politikerin, von der wir bereits in Accra vor zwei Jahren alle sehr begeistert waren. Der amtierende Präsident von Ghana, John A. Kufnor, fehlt wegen eines Todesfalles in seiner Familie. Ebenfalls bedauernswert, hatten wir uns doch noch im August im Schloss Bellevue auf einem ihm zu Ehren gegebenen Abendessen gesprochen.

Somit verbleiben von den angekündigten Staatsoberhäuptern lediglich der gastgebende hiesige Präsident Yar’Adua, Blaise Compaore aus Burkina Faso, von dem es heißt, er sei im liberianischen Bürgerkrieg Taylors Waffenlieferant gewesen, und Meles Zenawi, der ebenfalls nicht unumstrittene, aber überaus eloquente äthiopische Präsident.

Die übrigen afrikanischen Konferenzteilnehmer sind ehemalige Politiker, Journalisten, Soziologen, Wissenschaftler, sogar ein Theologe ist dabei. Die folgenden zwei Tage werden nur unterbrochen von den Mahlzeiten, unter anderem einem recht merkwürdigen Staatsbankett. Realsatirischer geht’s wohl kaum, aber deswegen sind wir ja auch nicht hier.

Viel wichtiger die neu zu gewinnenden Erkenntnisse bezüglich dieses Kontinents, dessen Bevölkerung sich in den nächsten 50 Jahren verdoppeln wird und gleichzeitig unter enormen Zeitdruck seine Wirtschaft und seine Demokratie aufbauen muss. Keine leichte Aufgabe bei all der Armut, den Krankheiten, den lokalen, bewaffneten Konflikten oder der endemischen Korruption wie in Nigeria und Angola.

Gerade was letzteres Problem betrifft, macht es einen fassungslos, dass die Kapitalflucht aus Afrika in Höhe von 20 Milliarden Euro pro Jahr die gesamte Entwicklungshilfe locker übertrifft. Aber was will man als Europäer in Zeiten von Berlusconis Sondergesetzen und der Siemens-Korruption da groß einwenden?! Letztendlich kann man lediglich den entschlossenen hiesigen Demokraten den Rücken stärken und in allen denkbaren Bereichen zur Seite stehen.

Yar’Adua jedenfalls muss hier in Nigeria megadicke Bretter bohren, wenn er das Land von der Korruption befreien will. Viele Freunde in der Oberschicht wird er sich jedenfalls nicht dabei machen, aber er macht trotz seines offensichtlich gesundheitlich angeschlagenen Erscheinungsbildes einen in sich ruhenden, entschlossenen Eindruck. Was das Verständnis der europäischen Bevölkerung für afrikanische Zusammenhänge enorm verbessern könnte, wäre ein weltweit empfangbarer TV-Sender wie Al Jazeera, der ja ein Riesenschritt für die arabische Welt war. Nirgendwo kann man sich der Innensicht dieses Kulturkreises mehr entziehen, unsere Medien bedienen sich der Informationen dieses Senders und so manches, was ansonsten wohl unregistriert an uns vorbeiziehen würde, wird jetzt zur Kenntnis genommen.

Am Vorabend des letzten Vormittags spreche ich Christoph Bertram, den Zeit-Journalisten und Co-Moderator auf das Thema Ostkongo an, über das ich mir hier die eine oder andere Einschätzung afrikanischer Fachleute erhofft hatte. Und er bringt es tatsächlich am nächsten Tag als allererstes auf die Tagesordnung.

Hierzu gehört die gemeinsame Forderung nach erheblich besser ausgerüsteten AU (Afrikanische Union) – Truppen, die derartige Probleme dann zukünftig mit „Standby Forces“ lösen sollen. Gute Idee, nur nützt dieser Plan im Moment rein gar nichts, weil sich bereits 17.000 UN-Soldaten ohne robustes Mandat vor Ort lächerlich machen und den beiden marodierenden Rebellengruppen – der Hutus wie der Tutsis – ebenso tatenlos zuschauen wie die „reguläre“ kongolesische Armee, die zum größten Teil aus ungebildeten Zwangsrekrutierten besteht.. Ausgesprochen bitter, dass trotz all den Erfahrungen des ruandischen Genozids erneut diese Mikadospielchen losgehen. Bloß nicht bewegen, sonst ist man der Dumme!

Auf Dauer wäre es jedenfalls wünschenswert, wenn die internationale Gemeinschaft den Raub von Rohstoffen kriminalisieren würde und zur Überwachung eine Zertifizierung sämtlicher Bodenschätze einführen würde, so wie es bereits in Sierra Leone, Liberia und der Elfenbeinküste mit Diamanten geschieht. Ein Vorschlag Yar’Aduas, dessen Umsetzung nicht nur ein wesentlicher Schritt zur Korruptionsbekämpfung in Nigeria, sondern auch zur Offenlegung der ruandischen Regierungsverwicklung in den Koltanabbau im Ostkongo wäre.

Zum Abschluss der Konferenz gibt der Bundespräsident am Sonntagabend einen Empfang in der deutschen Botschaft, bei dem ich ein paar Songs spielen soll. Zu meiner Überraschung hat die Frau des Botschafters, eine chilenische Opernsängerin, mit einem Chor „Verdamp lang her“ eingeprobt, so dass ich dieses Lied nach den beiden Nationalhymnen in einer ungewohnten, aber charmanten Version darbiete.

Für „Noh Gulu“ hatte ich mir einen einheimischen Percussionisten erbeten („Happinex“ heißt der Mann mit Künstlernamen) und als drittes spiele ich „The times, they are-a-changin’“ von Bob Dylan. Während der letzten drei Tage war immer wieder die Rede von der mit dem Wahlsieg Obamas verbundenen Hoffnung auf „change“ gekommen. Eine Euphorie, die man so lange nicht mehr erlebt hat. Irgendwann während der Konferenz war mir des Meisters Text aus den frühen 60er-Jahren in den Kopf gekommen. Und ich bemerkte, dass jede Zeile plötzlich wieder greift und die aktuelle Stimmungslage definiert.

Der Staatsbesuch-Teil dieser Reise beginnt am Montag um 8:15 Uhr mit einem Frühstück mit Vertretern der nationalen Arbeitsgruppe des „African Peer Group Mechanism“. Danach Fahrt zum State House und dort die offizielle Begrüßung mit militärischen Ehren, Gespräch mit Präsident und Kabinett. Anschließend Kranzniederlegung am Grab des unbekannten Soldaten, wo ich zwangsläufig an „Diego Paz“ bzw. das pompöse Kriegerdenkmal im argentinischen St. Julien denken muss. Kann die Dinger einfach nicht ab.

Es folgen Besuche im Repräsentantenhaus, im Parlament und im Hauptsitz der ECOWAS-Kommission, der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten. Später in einem Transcorp Hilton noch ein Gespräch mit Vertretern der Economic and Financial Commission, der Independent Corrupt Practices Commission und der Nigeria Extratise Industry Transparency Initiative. Lauter Menschen, denen man von ganzem Herzen wünscht, dass ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt werden.

Das gilt auch für den Präsidenten Yar’Adua, bei dem wir im engeren Kreis zum Abendessen eingeladen sind. Nach den Security-Maßnahmen zu beurteilen ist der Mann extrem attentatsgefährdet. Sogar in seinem Privathaus passieren wir noch zwei elektronische Schleusen und selbst die Handys hochrangiger Diplomaten müssen abgegeben werden.

Sitze neben dem Justizminister, mit dem ich irgendwann auf das Thema Kindersoldaten zu sprechen komme, wozu er meint: Tja, das wäre schon furchtbar, dass sich diese jungen Kerle Waffen besorgen und damit Unsinn anstellen würden. Ich bin verblüfft. Wie es aussieht, gibt es auch hierzu äußerst verschiedene Sichtweisen. Habe wieder etwas dazu gelernt.

Mir gegenüber sitzt der Bauunternehmer Wittmann, der mit seiner Firma Berger seit 1965 im Land ist, sämtliche Militärregimes überdauert hat und sozusagen chamäleonartig einen Staat im Staat befehligt.

Dienstag fliegen wir in die Megacity Lagos, mindestens eine der fünf größten Städte der Welt. Genaue Einwohnerzahlen gibt es nicht, sie schwanken zwischen 15 und 18 Millionen. Einen krasseren Gegensatz zwischen der Retortenstadt Abuja und diesem Ameisenhaufen kann sich keiner vorstellen.

Der Tag besteht aus allen möglichen Höflichkeitsbesuchen, verbunden mit knappen Informationen. Unter anderem eine Powerpoint-Präsentation zur Stadtentwicklung, ein Essen mit den wichtigsten Bankern (!) des Landes und ein Besuch des Goethe-Instituts, wo wir Vertreter der Filmwirtschaft treffen. Nach „Bollywood“ gibt es jetzt also auch das Label „Nollywood“, wobei ich skeptisch bleibe, ob da außer Geldmacherei durch die Bedienung des Massengeschmacks auch irgendetwas Substanzielles bei rauskommt.
An die anschließende Hafenrundfahrt auf Berger –Barkassen werde ich wohl noch lange denken. Vor allem an die verrottenden Schiffswracks, die munter vor sich hinrosten und anscheinend nie jemandem gehört haben. Ein Sinnbild für die Verantwortungslosigkeit des hier besonders herrschenden Raubtierkapitalismus: Nach mir die Sintflut!

Auch nicht so schnell vergessen werde ich die Burschen, die in diesem Dreckwasser von Flößen aus ohne Atemgeräte zum Flussgrund tauchen um Sandsäcke zu füllen, die sie dann als Bausand auf den Märkten verkaufen. Ehemalige Fischer bzw. Nachfahren eines ehemals stolzen Berufsstands, denen die Existenzgrundlage auch durch die rücksichtslose internationale Fischereipolitik entzogen wurde.

Danach ein Empfang im Garten des deutschen Konsulats und per Eskorte durch den Berufsverkehr dieses Molochs zurück zum Flughafen, wo wir reichlich verspätet eintreffen. Am Morgen dann nach einem Zwischenstop in der Provinzhauptstadt Kano, der ältesten Stadt Westafrikas, zurück nach Deutschland geht.

Das überragende Ereignis dieses Aufenthalts ist natürlich die Durbar, eine Reiterparade, die normalerweise zweimal im Jahr zu Ehren des Emirs stattfindet und anlässlich des deutschen Staatsbesuches ausnahmsweise dieses Jahr ein drittes Mal zelebriert wird. Vorher aber noch der offizielle Besuch im Palast des Emirs, wo man nicht umhin kommt, sich wie in einer Zeitreise zurück in die Vergangenheit zu fühlen.

Hier am Ende einer der bedeutendsten Trans-Sahara-Karawanen-Routen (von Marokko aus gesehen), leben 90 Prozent Moslems und das Zusammenleben mit der christlichen Minderheit führt immer wieder zu Spannungen. Nichtsdestotrotz ist diese Durbar natürlich eine sensationelle Abschlussveranstaltung für diese Nigeriareise, die mit ihren farbenfrohen, exotischen Eindrücken wohl noch lange nachwirken wird.

Unterwegs wie immer eine Resümee-Besprechung, aber auch ein langes, persönliches Gespräch mit Herrn und Frau Köhler über Sorgen und Hoffnungen, die uns unsere Herzensangelegenheit Afrika macht.

Nach ca. eineinhalb Stunden Aufenthalt in Berlin -wegen eines verstopften Benzinfilters in der Präsidentenmaschine – geht es weiter nach Köln, wo wir uns gegen Mitternacht noch einen Absacker genehmigen, um uns wenig später müde und randvoll mit Eindrücken in die Federn zu werfen.

Stimmt: die Radio-Pandora-Tour fängt nächste Woche an. Wir schalten wieder zurück ins Paralleluniversum.

>>> Siehe auch Fotos im „Fotoalbum“

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